Dienstag, 3. Dezember 2024

Tagebuch eines Berufstrinkers

28.01.
Schlafstörungen, Kopfkissen in Wodka getränkt. Lautes nächtliches Pfeifen lässt sich nicht lokalisieren. Gegen Morgen Heizkörper abgeschraubt, keine Änderung. In der Nacht wieder Angst, vor dem Fenster könnten Aboriginies auf Traumtröten blasen.

30.01.
Unverändert Schlafstörungen. Gläschen zählen erfolglos. Fläschchen Baldriantinktur (68%) ex. Hätte sicher Schlaf gefunden, wenn sich die Nachbarskatze nicht schreiend auf meinem Gesicht gewälzt hätte. Hände gerungen. Schwedenbitter, Harndrang.

12.02.
Früh zu Bett, um Mitternacht wegen Schlaflosigkeit wieder aufgestanden. Unter Zuhilfenahme aller Finger mindestens bis fünfzehn gezählt, dabei manches Mal die Augen verdreht und den Mund verzogen. Nachbarkeller aufgebrochen, getrunken.

14.02.
Teures Mittel gegen Magnesiummangel gekauft. Viel von Parallel-Universen gelesen, versucht hinzugelangen, hässlicher Sturz. Noch am Boden liegend Wunder erlebt! Verstorbener Großvater erschien, um mir Scharlachbergflasche hinzustellen. Grosse Hilfe.

20.02.

Ich warf alles nach jedem. Ruhe erlangt durch Insel-Samos.

27.02.

Wegen Henriette in der „Schimpansenbar“. Verbrüderungsszenen im Keller, Whisky aus Schuhen, zuletzt wieder so eine dreiste Person rittlings auf mir. Nach heimischer Badewanne gesehnt (Eierlikör-Oberkörpereinreibung), später des Nachts urethrale Schikanen.

01.03.

Perfekter Tag. Spaet abends habe ich mir dann noch ein Käsebrot geschmiert und mich draufgesetzt. Viel Wein.

10.03.
Obsession beschlossen: ins Treppenhaus schleichen und das entblößte Gesäß an die Wohnungstuer gegenüber drücken. Der vergilbte Lack muss angenehm kühl sein. Wann werde ich es zum ersten einmal tun?

11.03.

Obsession ist Scheiße. Anlässlich eiliger Flucht vor Nachbarin vom eigenen Schlafrock zu Fall gebracht. Liegengeblieben, totgestellt. Tiefe Scham, später massives Trinken.

19.03.

Nachgedacht über Worte eines Freundes: „Die Sonne müsste Nachts scheinen, am Tage ist es doch sowieso hell.“. Wieder geweint. Rum.

04.04.
Allein im Haus. Vorsichtig Bällchen in alle Zimmer geworfen. Keine Reaktion. – Hastig getrunken, übergeben (5x).

09.04.
Zwecks Betrachtung des Sonnenunterganges Rangierbahnhof aufgesucht. Allergrößtes Mitleid für zwei alte D-Zugwagen auf dem Abstellgleis empfunden. Ihr Anblick ließ mich aufschluchzen und unter konvulsivischen Zuckungen Liter von Tränen vergießen. Erst lange nachdem man mich in eine Nachtbar fortgeschafft hatte und mir unter stetigem Einschenken gut zuredete, konnte ich nach und nach zur Ruhe kommen.

15.04.
Wieder „Schimpansenbar“. Auf der Heimfahrt vom Taxifahrer Nottaufe erhalten. Lange gemeinsam Mond betrachtet und Geld gezählt.

27.04.
Haydn gehört, Flaschen leer getrunken.

02.05.

Gestern im Ärztehaus. Drei Stunden in der falschen Arztpraxis gewartet, dann versehentlich Termine bei Heilgymnastin besorgt. Panik im Treppenhaus verursacht, Hausverbot in der Apotheke. Schändlich besoffen, beidseitiges Trommelfellflattern.

08.05.

Letzten Abend mit zwei Flaschen Chianti im Opernhaus, „Orpheus und Eurydike“, sehr geschimpft. Nichts ist so ekelhaft wie Knabensopran, darüber hinaus vehement bemängelt, dass Orpheus von einer Frau (Zarah Leander?) gesungen wird. Jede Kontrolle verloren, hinausgetragen worden. Überfallkommando, sehr verstimmt, Garderobenfrau wollte mich mit ihrer missratenen Tochter verkuppeln.

10.05.

Im Kino wieder zwei Finger abgestorben. Im Foyer Hans und Rose getroffen, die sich als Junge und Mädchen verkleidet hatten. Unguter Auftritt in der Bar, Notarztwagen.

14.05.

Mit Henriette weißen Rheinwein probiert. In Karohemden stundenlang an der Decke gekniet. Immer gesagt: „Aufpassen, dass sich nichts verschiebt. „(Ebenen!). Gegen Morgen heftige Önomanie. In der Notaufnahme Akten vernichtet.

29.05.

Gedicht geschrieben: „Managerschulung – ritsch ratsch reisele, geht die Welt im Kreisele“; Rotwein, in der Badewanne eingeschlafen, Prostataentzündung.

02.06.
Viel Gin auf Anraten Hansens, Wasserlassen klappt besser.

09.06.
Der Arzt macht mir Hoffnung; ich höre, wie die Urologen lachen. Heute zum ersten Mal versehentlich Wein in die Pfeife geschüttet.

12.06.

Es wird behauptet, ich hätte letzte Nacht versucht, im Schlafanzug den Straßenverkehr auf der Kreuzung zu regeln. Misstrauen, unsicher und verkrampft getrunken.

18.06.
Nervengeschichten … fremde Bohnen (sic!) sahen mich aus dem Spiegel an – unbedingt Abstinenz üben!

21.06.
Für diesen Satz hätte ich Karl May geliebt: „Winnetou starb, ließ sich jedoch nichts anmerken.“ Etwas geweint, Brandy durch Strohhalm.

30.06.
Reimepos erwogen. Anfangs Lob der Frau, dann müsste Schilderung der Begegnung mit einem Nilpferd folgen oder Himmelfahrtswitz. Schlussformel könnte sein: „Und ein nackter Mann stand tumb dabei.“ In der Küche vergeblich nach Cherry-Rest gesucht, daher „Schimpansenbar“. Halmasteinchen gekotzt, Personalausweis verkauft.

02.07.
Stimme aus der Steckdose gehört. Werde ich wahnsinnig? Wein, Wein.

11.07.
Seit heute zwei Stimmen. Eine sagt „Puppenhuhn“, die andere „Paradieswurst“. Trotziges Trinken, aber doch Furcht.

12.07.
Wenn ich J.S. Bach wäre, würde ich folgenden Satz vertonen (Kantate): „Ich bleibe oft lange auf, trinke viel und schäme mich für alle“; elterliche Hausbar vorgeknöpft, wieder Notarzt.

17.07.
Nachmittags weinender Mann vor der Haustuer. Wehe, wehe, ich war es selbst. Strenger Cocktail, schließlich wieder Mut. Ab 20 Uhr wieder gewissenhaft getrunken. Wohin sind die Tage, wo Wasserlassen eine Selbstverständlichkeit war?

18.07.
Gegen Abend in völlig fremden Kleidern aufgewacht. Starker Wunsch, etwas über Hamster zu schreiben. Persiko-Trinkkur begonnen.

29.07.
Unleserliche Flammenschrift am Himmel; schon wieder diese Bolzen im Teppich. Eierlikör.

31.07.
Das Geräusch aneinanderklirrender Weinflaschen lockte mich gestern Abend in den Nachbargarten. Zunächst geduldet, trank ich allen süßen Wein. So wie ich aber anfing, den Nachbarn von Schrödingers Katze und den Wundern der Quantenwelt zu berichten (wobei ich bedauerlicherweise bis zum Ellenbogen im Dekolltee der Tochter des Hauses stecken blieb), warfen sie mich über die Hecke. Mildtätige Zwerge fanden mich und pflegten mich in ihrer Höhle gesund.

01.08.

Geträumt: nach 37 Jahren erstmals wieder aus dem Fenster geschaut. Die Landschaft hatte sich stark verändert, der Fluss trug sogar Koteletten.

05.08.
Mit Person, an die ich mich nicht erinnern kann (Henriette?, Hans?) irgendwie über Land gegangen. Wir liefen bergab durch Gärten hindurch. Oder dran vorbei. Wir legten uns nach reiflichen Überlegungen an den Straßenrand und versuchten zu sterben. Auf den Tod wartend schauten wir in die Luft. Die Fliegen flogen verkehrt herum und sahen aus wie große Damen. Auf dem Heimweg Glossolalie: indogermanische Trinklieder mit leicht schlüpfrigen Kehrreimen. Champagner!

23.08.

Heute den vierten Tag bei herabgelassenen Jalousien und Kunstlicht in der Wohnung, meist im Bett. Hatte mir große Inspiration von solcher Lebensweise versprochen (etwa wie H.P. Lovecraft), bis jetzt aber nur mit Voodoo-Puppen herumgefudelt. Rechter Hausschuh ins Klo gefallen. Danziger Goldwasser bis zum Erbrechen.

04.09.
Seit Wochen nur über moderne Physik und das Bermudadreieck gelesen. Spüre, wie mein Leben wieder einen Halt bekommt. Im Kaufhof haben sie neue Rolltreppen. Leberwerte verheerend. Am leicht geöffneten Fenster verbrachte ich im Clubsessel sitzend eine der glücklichsten Zeitspannen meines Lebens.

06.09.
Brief vom Wiener Verleger. Muss echt sein, Henriette sieht ihn auch. Einladung zur Lesung. Grosse Angst vor weiter Reise, „Mut angetrunken“, Rasierapparat und einzig gute Hose ruiniert.

12.09.

Eine Woche lang mit Henriette verreist gewesen. Nach der Rückkehr erfahren, dass wir in der Bretagne waren und nicht, wie ich irrtümlich annahm, in der Toskana. Wieso aber bekomme ich heute eine Ansichtskarte von uns aus Florenz? In Jeans Weindepot alle Reste ausgetrunken, nachdenklich.

14.09.
Sitze im Zug nach Wien. Henriette hat Affäre mit VHS-Kursleiter. Soll ich lieber in Wien bleiben? Habe mir elegantes Halstuch im Hemdkragen installiert. Markenwodka aus der Thermoskanne. Sehr weltmännisch, jedoch Fahrkarte verloren.

15.09.
Wieder zu Hause. Anzeigen wegen Schwarzfahrens, Beleidigung und Sachbeschädigung. Desolater Zustand. Versucht, von Streifenpolizisten erschossen zu werden. Nur Ohrfeige erhalten. Immerzu geschrieen: „Ich sterbe, ich sterbe!“ Zur nächsten Lottoannahmestelle geschleppt, Magenbitter auf Kredit.

19.11.
Durch jenseitige Beeinflussung Schlager geschrieben: „Ball-a-Ball-a-Ball-Ball-a-Ball … (etc.), der Blumenhund anbei, so find ich euch, dem treff ich euermassen an (quella) – Kwu Kwaeck-Ball-a-Ball-a-Ball-a-Ball … (etc.) Und die Hirtenmädchen lesen: So bist du du du mit deinem Blarr Blamm Blumenhund (wiederholen)“ Mit abnehmenden Flascheninhalt kristallisiert sich die Melodie heraus. Erregt, Zierleisten abgebrochen.

28.11.
Religiöser Exzess, Hausrat auf die Strasse gestellt. Schlaflos, brünstige Abstinenz.

29.11.
Zwangsvorstellungen bezüglich Nachfolge Christi sind abgeklungen. Viehisch besoffen.

01.12.
Unbekannte Frau in der Fußgängerzone verbot mir, in ihren Armen zu sterben. Wenig schöne Szene. Danach Glühwein und rücksichtslose Kirchenkritik auf dem Weihnachtsmarkt.

Schürfwunden. 03.12.
Im Keller sitzen seit ein paar Tagen zwei alte Männer unter einer Abdeckplane und essen schreckliche Butterbrote. Zwischendurch gehen sie hinaus (in Unterhemden) und schlagen mit großen Hämmern auf die Treppe. Betroffenheit meinerseits, nicht länger vor marokkanischem Wein zurückgeschreckt. Wadenkrampf.

28.12.
Alkohol wirkt nicht mehr bei mir. Vor einer Stunde Gift genommen. Enttäuschung: es wirkt auch nicht, Scheiße!!