Freitag, 29. März 2024

Metzgerei

Letzte Woche in meiner Lieblingsmetzgerei.

Hinter mir eine Schlange, vor mir eine Fleischereifachverkäuferin.
„Einmal von dem Schwarzwälder Schinken“
„100 Gramm?“
„Ja“
„Darf“s etwas mehr sein?“
„Ja klar“
„Sonst noch was?“
„Ja, dann noch 100 Gramm von der Leberwurst“
„Darf“s etwas mehr sein?“
„Ja gerne“
„Darf“s sonst noch was sein?“

Und dann finde ich die Bestellerei öde. Also denke ich, ich bin mal flexibel:
„Ja, bitte noch 113 Gramm Aufschnitt“

Totenstille in der Metzgerei. Was ist das denn für eine Bestellung? 113 Gramm?
Die Fleischfachkraft starrt mich an, als hätte ich gesagt, sie legt beim Wiegen jedes Mal ihre Brüste mit auf die Waage. Sie versucht es mit dem „ich habe mich verhört“-Trick:
„100 Gramm Aufschnitt, jawoll“.
Aber nicht mit mir!
„Nein, 113 Gramm“
„113 Gramm?“
„So ist es“.

100 Gramm kann sie schätzen, hat sie ja den ganzen Tag. Aber 113 Gramm, das ist eine Herausforderung – zumal, wenn der Laden voll wie ein Kölner im Karneval ist. Sie packt den Aufschnitt, legt ihn auf ein Stück Papier und auf die Waage. Die Digitalanzeige blättert sich auf 118 Gramm. Sie ist schlau.
„Darf“s ein bisschen mehr sein?“
Ich lächle, um sie in Sicherheit zu wiegen, dann sage ich:
„Nein, genau 113 Gramm, bitte“
Sie atmet schwer. Hinter mir immer noch Totenstille. Ein Huster. Die ganze Metzgerei beobachtet wie erstarrt den Showdown zwischen Fleischereifachverkäuferwoman und Superasshole. In Zeitlupe schneidet sie ein Wurststückchen und legt den Aufschnitt auf die Waage. 114 Gramm. Sie will die Wurst gerade einpacken.

„Nein“ sage ich „Ich möchte bitte genau 113 Gramm.“
Ich drehe mich zu den Wartenden um.
„Ärztliche Empfehlung“ lächle ich. Es nutzt nichts. Einer ballt die Fäuste. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Meine bislang freundliche Bedienung knirscht mit den Zähnen, schneidet noch ein Stückchen von EINEM Wurstscheibchen ab, lässt erneut die Waage entscheiden. Wie in Zeitlupe erscheinen die Zahlen und bleiben bei genau 113 Gramm stehen. Hinter mir atmen die Menschen und auch meine Fleischereifachverkäuferin auf.

Geschafft.
Das A****loch ist befriedigt. Sie will schon die Wurst einpacken, als ich die Hand hebe.
„Entschuldigung“ sage ich „jedoch: sie haben das Papier mitgewogen. Das ist sicher noch ein Gramm.“
„Was GLAUBEN Sie, wo Sie hier sind?“ faucht sie mich an.
„WO ICH BIN, WEIß ICH! OB ICH PAPIER BEZAHLE, MÖCHTE ICH WISSEN.“
Sie knallt das Fleisch nebst Papier wieder auf die Waage und schmeißt das bei 114 Gramm abgeschnittene Wurststückchen dazu. Voila, wir haben 114 Gramm inklusive Papier.

„JETZT dürfen Sie einpacken“ erkläre ich generös, im Bewusstsein, sie besiegt zu haben. Die empört murmelnden Stimmen „Vollidiot“, „Kniebohrer“ und „Knalldepp“ hinter mir ignoriere ich.

Ich bekomme mein Fleisch gerade so nicht direkt ins Gesicht geschmissen, zahle an der Kasse und noch währenddessen frage ich die Besiegte freundlich:
„Was machen Sie eigentlich mit den abgeschnittenen Halb- und Viertel-Scheiben?“
„Die werfe ich weg, wieso?“
„Och“, sage ich verbindlich, „bevor Sie die wegschmeißen, können Sie sie ja auch mir geben…“

Im Krankenhaus hat man mir später erzählt, sie hätten drei Stunden gebraucht, um mir die Kalbshaxe aus den Rippen zu operieren…